Eine kleine iranische Ecke

In Südarmenien fuhren wir ein letztes Mal über einen wunderschönen hohen Pass und näherten uns in Serpentinen dem Grenzfluss Aras, der sich zwischen Schilf und rotblühenden Bäumen inmitten orangefarbener felsiger Berge grün und träge richtung Osten schlängelte. Sehr sehr schön. Die Ausreise aus Armenien war seltsam. Die Kinderpässe machten die Zöllnerin irgendwie misstrauisch, weil sie kein Hardcover haben. Aber irgendwann war es vollbracht und wir fuhren aus dem relativ ruhigen armenischen Zollbereich raus, über eine Brücke rüber, mitten ins iranische Einreiseinferno. Zum Glück waren wir das einzige Privatfahrzeug, das einreisen wollte. Wir stellten den Weinsberg irgendwo ab und kamen in eine große Halle zur ersten Passport- und Visakontrolle wo ein unglaublich mürrischer und höchstwahrscheinlich hungriger Typ 35 Minuten lang unsere Pässe studierte. Dann kam die nächste Halle. Es gab viele Leute, viele Schalter, viele Bildschirme mit vielen iranischen Buchstaben drauf. Manu hat es durch geschickte Beobachtung irgendwie geschafft, das richtige zu tun und ein Mr. Nazir holte uns ab und kümmerte sich um alles weitere mit dem Auto. Nach dem Zoll wechselten wir ein bisschen Geld (Komplizierte Story, denn man muss alles was man braucht bar mitbringen (€ oder $), aber es herrscht ne Rieseninflation und die Wechselkurse an der Grenze und bei den Banken sind die schlimmsten und man weiß eigentlich nie, wie viel man für was zahlt und wie viel Geld man hat) und fuhren dann zu einer Reisemoschee am Fluss. Wir checkten ein (also Manu zeigte irgendeinem Mann die internationale Geste für Schlafen, der Mann nickte und wollte auf keinen Fall Geld, führte aber stattdessen zu einem gemütlichen, mit Teppichen ausgestatteten Zimmerchen) und bewunderten die schöne Moschee. Diese war zudem extrem laut, aber das Gebet anders und inbrünstiger als in der Türkei. Wir schliefen gut und waren eine kleine Attraktion und wurden am Morgen sogar von einem wichtigen Mann besucht, wissen aber auch nichts genaueres. Nach dem Wassertanken fuhren wir durch eine superschöne, unbesiedelte Landschaft Richtung Täbris. Als wir Mittagspause machten, bekamen wir kleine gute Äpfel geschenkt und wollten schon fast nicht mehr weiterfahren, aber irgendwie fuhren wir doch und es wurde spät und stressig und der Verkehr in Täbris wäre zu meistern gewesen, wenn die falsche Ausfahrt, die wir nahmen, nicht ausgerechnet die zum Bazar gewesen wäre. Egal, war interessant - zumindest für die Beifahrer - und hat uns nur ne Stunde gekostet. Schlimmer war, dass wir müde und entkräftet einen so steilen - und leider falschen - Hügel runtergefahren sind, dass unsere Trittstufe herzzerreißend über den Asphalt kreischte. Es war eigentlich unmöglich, den Hügel ohne Gekreische wieder hochzufahren, dennoch versuchten zwei Männer uns winkend und rufend dabei zu unterstützen, im richtigen Winkel auf die Rampe drauf zu fahren und zwar so wohlwollend, dass wir oben mit der Markise gegen ein Straßenschild gefahren sind, weil alle nur nach unten geschaut haben. Aber tataa - sowohl Stufe als auch Markise sind noch dran. (Tausendmal ätzender ist, dass Alma (Spoiler!) zwei Wochen später das Türfliegengitter zerstörte.) Ein Typ mit einem Fahrrad (unser echt freundlicher und überaus aufdringlicher Schlepper Reza) zeigte uns den Weg zum sehr schönen “Free Camping“ und wir fühlten uns dort gleich wohl. Mitten in der Stadt, ein schöner ruhiger Zeltplatz mit puscheligem Rasen, warmen Duschen, Wasser, Sportgeräten und ebenem Parkplatz. Reza kam am nächsten Tag in aller Frühe um 9:00 (wir haben nämlich keine Zeit vereinbart) um mit uns zum Bazar zu gehen und Sim-Karten zu kaufen und Geld zu tauschen. Leider war Vega krank und fiebrig aufgewacht, also ging nur Manu mit Reza für drei Stündchen Business erledigen und die anderen „chillten“ im Auto bis zu dem Moment, in dem Vega Maris Bett und Mari komplett vollkotzte und der Tag sich eher unschön zu gestalten begann. 

Nichts desto trotz schlug der liebe Reza unsere Einladung zum Mittagessen im engen, heißen, nach Kotze riechenden Wohnmobil nicht aus und erfreute uns mit seinem profunden Wissen über Kindergesundheit („Do not give him cucumber, it raises the fever. When my kids were sick, I gave them watermelon.“) Es stellte sich heraus, dass Reza in erschöpfend vielen Bereichen des Lebens „a lot of experience“ hatte. Manu schaffte es aber, ihm irgendwann klar zu machen, dass wir den Nachmittag gerne alleine verbringen würden, weil Vega sich erholen müsse und wir gingen in einen Park nebenan und es passierte sonst nicht mehr viel, außer dass wir herausfanden, dass es auch eine GUTE Brotsorte im Iran gibt (sonst alles totale Vollkatastrophe). Am nächsten Tag hingen wir mit ner Gruppe Mädels aus Maschad auf dem Campingplatz rum, die leider kein Wort Englisch konnten und diese Tatsache gerne mit Lautstärke kompensierten, duschten, besichtigten mit dem Taxi die Stadt - die unangeschnallten Kinder jauchzten bei jedem rasanten Manöver freudig auf - wir flanierten eine Runde im größten Park von Täbris und waren wieder eine ziemliche Attraktion (Entweder sind wir die einzige westliche Familie, die dieses Jahr im Iran Urlaub macht oder es lag am Ginger, aber wir haben echt viele Fotos mit fremden Menschen gemacht...) und gingen am Abend noch auf den Spielplatz. Als wir zurück kamen, kamen gerade Toni und Gregor* auf den vollgepackten Fahrrädern an. Sie fahren von Dresden nach Hongkong und wir verstanden uns augenblicklich gut. Spät abends saßen wir zusammen draußen, tranken diverse Malzbiere und genossen es sehr, die selbe Sprache zu sprechen. (Metaphorisch und sprichwörtlich natürlich.)

Am nächsten Tag verabschiedeten wir uns von allen möglichen Leuten auf dem Campingplatz sehr lange und wortreich und tranken nochmal Tee mit Reza. Er hatte lieberweise eine Barbie und einen kleinen Pinguin seiner inzwischen erwachsenen Tochter für unsere Mädchen mitgebracht. Dann fuhren wir wieder zurück Richtung Norden ins wunderschöne Aras-Tal. 


*(Namen - wie immer - geändert)

Aras-Tal
Aras-Tal

Wir verbrachten dann noch einige Tage im Norden u.a. in einem riesigen, wundervollen, sehr gepflegten Park voller cooler Sachen und Statuen zum Fotos machen und anschauen und spielen und natürlich auch mit Picknick- und Zelthäuschen. Iraner zelten und picknicken nämlich viel und gern und dafür gibt es auch in jedem Park und bei jeder touristischen Attraktion kleine schattenspendende Pavillons. Auch Trinkwasser und Toiletten gibt es in fast jedem Park. Es ist ein kleines Campingparadies. Vielleicht wurde die Polizei deshalb so misstrauisch, als sie uns an einem Tag mitten in der (natürlich wunderschönen) Pampa kontrollierte. Vielleicht fragte man sich, warum wir nicht in einem Park stehen. Wir waren zwar bisher auch schon jeden Tag kontrolliert worden (Pässe und Visa) aber normalerweise endeten diese Kontrollen mit Gelächter, gemeinsamen Fotos, Einladungen und guten Wünschen. Dieses Mal kamen zwei Polizisten und zwei Soldaten mit Waffen und baten uns alle auszusteigen und der eine war etwas sehr schlecht gelaunt und begann im Wohnmobil nach Kulturgütern zu suchen. Er fand einen Obsidian aus Armenien und eine Tonscherbe unbekannter Herkunft, aber ließ uns dann schließlich in Ruhe und wir durften noch bleiben, aber nicht über Nacht. Wir hatten kein gutes Gefühl und vielleicht war das auch bisher der unangenehmste Moment unserer Reise.

Diese Begegnung hat unseren Iran-Rausch ein wenig getrübt, war aber trotzdem wertvoll. Man vergisst es so leicht, wenn alle so freundlich und fröhlich sind, die Städte so lebendig und Landschaften so überwältigend sind, aber Reza hat es beim letzten gemeinsamen Frühstück (während des Ramadan) deutlich gesagt: There is no freedom for Iran. 

Wir haben so viele Menschen getroffen und auch viel geredet, alle waren wahnsinnig freundlich und interessiert und nicht fremd. Aber im Iran werden derzeit weltweit die meisten Todesstrafen (relativ zur Bevölkerungszahl) vollstreckt - u.a. für Ehebruch, Alkoholkonsum und Homosexualität. 

Die Gesellschaft, die wir wahrgenommen haben, war bestimmt nicht von Angst geprägt, aber wir haben nur kurze Zeit in einem kleinen Gebiet verbracht und wurden selbstverständlich nur von sehr offenen, vielleicht auch westlich geprägten Menschen angesprochen und so entbehren unsere Eindrücke natürlich jeglicher Objektivität und Relevanz. Interessant ist vielleicht trotzdem die ewige Kopftuchgeschichte, denn sie zeigt vielleicht ein bisschen, dass die Freiheit nicht vergessen ist und oft, so weit wie eben möglich, auch genommen und gelebt wird. 

Im Iran herrscht Kopftuchpflicht für alle Frauen - auch für Nicht-Muslima. Und obwohl man auf den Straßen wegen Ramadan zwar vorwiegend Frauen mit schwarzen Tüchern, sehr oft im Dschador, gesehen hat, haben wir außerdem noch ALLE erdenklich anderen Arten das Kopftuch zu tragen, gesehen und sogar auch eine Frau ohne Tuch. Vom kleinsten drapierten Schleiertüchlein, über lose drapierte Paschminas und einfach geknotete Dreieckstücher bis hin zu exotischen, mehrlagigen Schleiergewändern. Frauen sind auf den Straßen und im öffentlichen Leben sehr präsent und zumindest von außen wirken sie sehr gleichgestellt und europäisch. Sie gehen alleine aus, fahren Auto, sprechen mit Nicht-Ehemännern, tragen Kleidung, die ihnen gefällt, können Englisch, gehen zelten.. Das war einfach schön zu erleben und wir haben echt coole Bekanntschaften gemacht. Es ist überhaupt sehr leicht, sich als Tourist dort wohl zu fühlen. Dankeschön. Wir waren nur so kurz zu Gast, aber es hat uns viel bedeutet und irgendwie auch sehr berührt. Es ist ja leider auch eine traurige Geschichte. 

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